Ist die Malerei männlich oder weiblich? Warum sehen Michelangelos Frauen wie Männer aus? Und wie erotisch darf religiöse Malerei sein?
Die Führung in der Gemäldegalerie zeigt die vielfältigen Darstellungsweisen von Männern und Frauen in der Kunst der Renaissance und des Barock - und die unterschiedlichen Blicke und Deutungen auf religiöse und weltliche Themen, die die Maler und Bildhauer dieser Zeit entwickelten.
Leistung: Führung in der Gemäldegalerie Alte Meister und der Skulpturensammlung.
Dauer: 1,5 Stunden.
Preis: 45 € pro Person; ab 4 Personen Gruppenpreis 160 € (inkl. MwSt.), zzgl. Museumseintritt.
Besucherinformation
Gemäldegalerie Alte Meister, Theaterplatz
Öffnungszeiten: Di-So, 10-17 Uhr. Änderungen an Feiertagen möglich.
Eintritt: 16 €, ab 10 Personen 14,50 €, unter 17 Jahre frei.
Ein kleiner Exkurs
Zwischen Idealisierung, Ambivalenz und Subversion
Die Darstellung von Geschlecht in zwei Epochen künstlerischer Umbrüche
Die Malerei der Renaissance und des Barock ist reich an Motiven, die gesellschaftliche, religiöse und philosophische Vorstellungen ihrer Zeit spiegeln. Neben Fragen von Schönheit und Hässlichkeit, Tugend und Laster, Leben und Tod, spielt auch das Thema Geschlecht eine zentrale Rolle. Die Art und Weise, wie Maler*innen in diesen Epochen Geschlecht und Geschlechteridentität darstellen, ist vielschichtig: Sie offenbart gesellschaftliche Ideale, Hierarchien, Sehnsüchte, aber auch Brüche und Ambivalenzen.
Die Renaissance, als Epoche der Wiedergeburt antiker Ideale, ist geprägt vom Aufbruch in neue wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Horizonte. Auch das Bild des Menschen, sein Körper, seine Rolle in der Welt wird neu gedacht – und damit auch die Frage nach Geschlecht.
Das Geschlecht in der Malerei der Renaissance ist zunächst eng mit der Vorstellung des Ideals verbunden. Weibliche Figuren, etwa in den Madonnenbildern Raffaels, verkörpern Reinheit, Schönheit, Fruchtbarkeit, Anmut. Männliche Körper stehen für Kraft, Vernunft, heroische Haltung. Diese Zuschreibungen sind aber selten bloß „natürlich“: Sie sind Ergebnis sozialer Konstruktion, Ausdruck von Wertvorstellungen, die zwischen Himmel und Erde, Geist und Körper, Aktivität und Passivität differenzieren.
Die Malerei bedient sich dabei eines klaren ikonografischen Repertoires. Frauen erscheinen häufig im Kontext von Muttergottes-Darstellungen, als Heilige oder als Allegorien (z.B. der Tugenden, der Künste, der Jahreszeiten). Ihre Körper sind sanft, von weichen Linien und meist verhüllender Kleidung umgeben, ihre Bewegungen zurückhaltend. Männliche Figuren werden in religiösen, mythologischen und historischen Szenen als Helden, Krieger, Märtyrer oder Philosophen inszeniert. Die Anatomie wird mit wissenschaftlicher Präzision studiert und dargestellt, als Ausdruck der menschlichen – meist männlichen – Vernunft.
Doch schon in der Renaissance zeigen sich Brüche und Verschiebungen: Weibliche Heilige wie Katharina von Alexandria treten als Gelehrte oder Kämpferinnen auf; männliche Märtyrer werden mitunter mit zarter Emotionalität ins Bild gesetzt. Androgynität – das oszillierende Spiel zwischen männlichen und weiblichen Merkmalen – ist besonders in Darstellungen des jugendlichen Christus, von Engeln oder mythologischen Figuren wie Ganymed oder Narziss zu beobachten.
Mythologische Stoffe bieten Maler*innen der Renaissance einen Spielraum, Geschlecht nicht nur als festes, sondern als wandelbares, fluides Prinzip zu erkunden. Die Metamorphosen des Ovid liefern zahlreiche Geschichten, in denen Figuren ihr Geschlecht wechseln oder „zwischen den Geschlechtern“ stehen: Hermaphroditos, das Kind der Aphrodite und des Hermes, wird zum Sinnbild für die Vereinigung männlicher und weiblicher Prinzipien. In der Malerei erscheint Hermaphroditos oft lasziv, mit weiblichen Brüsten und männlichen Genitalien, als Verführung und Herausforderung der tradierten Geschlechtsgrenzen zugleich.
Auch Apoll und Daphne, die Verwandlung von Zeus oder die Amazonenmythen werden genutzt, um Geschlechteridentität als Prozess, als Bewegung zwischen Rollen und Körpern darzustellen. Die Malerei wird so zur Bühne für die Inszenierung von Geschlechterambiguität und zur Reflexion über das, was männlich oder weiblich „ist“ – oder eben nicht.
Mit dem Barock, jener Epoche der Intensität, des Pathos und der Sinnlichkeit, verändert sich auch der Blick auf Geschlecht und Geschlechteridentität. Die Malerei betont nun das Extreme, das Emotionale, das Paradoxe – und damit auch die Ambivalenz der Geschlechterrollen.
Im Barock werden weibliche Figuren nicht mehr ausschließlich als keusche Jungfrauen oder mütterliche Heilige dargestellt, sondern als verführerische Venus, leidenschaftliche Magdalena, mächtige Amazonen oder selbstbewusste Herrscherinnen wie Maria Theresia. Zugleich inszenieren die Künstler*innen männliche Körper in bislang ungeahnter Verletzlichkeit, etwa in der Darstellung der Passion Christi oder der Märtyrer.
Der Körper rückt ins Zentrum der Bildsprache: Frauen werden mit sinnlicher Fülle, üppigen Kurven und erotischer Präsenz gemalt (man denke an Rubens’ Venusgestalten oder Artemisia Gentileschis Heldinnen). Männliche Körper dagegen changieren zwischen heroischer Kraft (Caravaggio, Guido Reni) und erschütternder Ausgesetztheit (Rembrandt, Ribera). In dieser Inszenierung körperlicher und seelischer Extreme verwischt die Malerei die Grenzen zwischen aktiver und passiver Rolle, zwischen Stärke und Schwäche, zwischen Macht und Ohnmacht.
Die barocke Kunst liebt das Spiel mit Maskerade, Verkleidung und Täuschung. Allegorien tauchen in Gestalt von Frauen auf, die männliche Macht verkörpern; Göttinnen erscheinen als Kriegerinnen; Heilige und Märtyrer*innen werden als Grenzgänger*innen inszeniert. Besonders im Genre des Porträts werden Geschlechteridentitäten performativ ausgestellt: Frauen lassen sich als Diana, Minerva oder Judith malen, Männer schlüpfen in die Rolle von Heiligen, Philosophen oder antiken Helden – und nehmen dabei nicht selten Züge des „Anderen“ an.
Auch homoerotische Motive, etwa in Darstellungen von Ganymed, Hylas oder des Heiligen Sebastian, öffnen Räume für alternative, nicht-heteronormative Geschlechterbilder. Die Körper werden zur Projektionsfläche für Sehnsüchte, Ängste und Wünsche, die in der Gesellschaft nicht immer offen artikuliert werden konnten.
Künstler*innen wie Artemisia Gentileschi fordern mit ihren Werken die männlich geprägte Ikonografie heraus: Ihre Frauenfiguren sind nicht länger Opfer, sondern Handlungsträgerinnen, die mit Entschlossenheit und Stärke auftreten (z.B. „Judith und Holofernes“). Damit wird die Malerei auch zum Medium gesellschaftlicher Auseinandersetzung über Geschlecht, Macht und Identität.
Die Malerei beider Epochen reflektiert die Geschlechterordnung ihrer Zeit: Frauen sind in der Regel Objekt des männlichen Blicks, werden begehrt, verehrt, idealisiert – oder verurteilt und dämonisiert. Männliche Figuren beanspruchen die Rolle des Schöpfers, des Helden, des Gesetzgebers. Doch die Kunstwerke offenbaren zugleich Risse im Gefüge: Männer zeigen Schwäche, Sinnlichkeit, Leid; Frauen treten als mächtige Akteurinnen hervor, verführen, kämpfen, bestimmen ihr Schicksal.
Mit der wachsenden Individualisierung des Menschen im Laufe der Renaissance und des Barock zeichnet sich eine langsam fortschreitende Differenzierung und Pluralisierung von Geschlechterbildern ab. Porträts werden zum Ausdruck individueller Identität, auch jenseits starrer Rollen. Die Darstellung von Nonkonformität, Exzentrik und Einzigartigkeit nimmt zu.
Nicht zuletzt ist das Motiv der Maskerade, der Verkleidung, der Verwandlung ein zentrales Thema der barocken Bildwelt. In höfischen Festen, im Theater und auf Maskenbällen wird das Spiel mit Geschlechteridentität zum gesellschaftlichen Ereignis – und schlägt sich in der Malerei nieder. Künstler*innen wie Antoine Watteau oder Pietro Longhi zeigen Figuren in ambivalenten, gender-fluiden Rollen. Die Grenze zwischen Mann und Frau wird als performativ, als veränderbar dargestellt – ein Gedanke, der heutigen Debatten über Geschlechteridentität erstaunlich nahe kommt.
Die Malerei der Renaissance und des Barock eröffnet vielschichtige Perspektiven auf Geschlecht und Geschlechteridentität. Sie bestätigt und hinterfragt zugleich gesellschaftliche Normen, bietet Räume für Identifikation und Subversion, und macht sichtbar, wie sehr Geschlecht ein kulturelles, wandelbares Konstrukt ist. Ob als Ideal, als Ambivalenz, als Bruch oder als Möglichkeit: Die Kunst dieser Epochen lädt uns ein, die Vielfalt und Komplexität von Geschlechteridentität zu erkennen – und offenbart, dass das Spiel mit Geschlecht und Identität schon immer Teil der menschlichen Vorstellungskraft war.
So bleibt die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Geschlecht in der Malerei der Renaissance und des Barock nicht nur eine kunsthistorische, sondern auch eine gesellschaftlich hochaktuelle Aufgabe – als Spiegel unserer eigenen Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Freiheit.