Warum der Mohr nicht gehen kann
Dinglingers "Mohr mit der Smaragdstufe"
Es ist der wahrscheinlich glänzendste Raum des 18. Jahrhunderts in Deutschland, ein Spiegelsaal in sächsischen/deutschen Dimensionen. Das Juwelenkabinett im Historischen Grünen Gewölbe inszeniert aus Spiegeln und Goldrahmen die Sammlung von Juwelengarnituren. Er treibt die architektonische und künstlerische Inszenierung der Machtanspruchs Augusts des Starken, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, auf den Höhepunkt.
Am Eingang, wie zum Empfang, steht Figur des „Mohr mit Smaragdstufe“, ein Hauptwerk Johann Melchior Dinglingers und eines der populärsten Kunstwerke im Historischen Grünen Gewölbe. In einem Museumskatalog wird er so beschrieben: „Die beiden stolzen ‚Mohren‘ sind keine Diener oder gar Sklaven, sondern scheinen eher königlichen Geblüts. Sie vermitteln Kraft und Freiheit bereits in den Gesten, mit denen sie ihre Reichtümer präsentieren.“ Aber stimmt diese Interpretation?
Dinglingers „Mohr“ ist reich geschmückt. Seine Bekleidung weist ihn als Ureinwohner Floridas aus, die Physiognomie aber als Afrikaner. Mit den Ureinwohnern Mittelamerikas hat diese Darstellung also wenig gemein. Es ist klar, dass Dinglinger keinen „ethnografische“ Rekonstruktion anstrebt. Ihn geht es auch nicht einfach um die Darstellung eines „fremden“ Bewohners Afrikas, sondern um die Darstellung des Reichtums Amerikas an Schätzen der Natur.

(c) Brück & Sohn, https://de.wikipedia.org/wiki/Mohr_mit_der_Smaragdstufe#/
In der Ikonographie der Darstellung der Weltteile nimmt Asien neben Europa den höchsten Platz ein als Kontinent, der die großen Weltreligionen hervorbrachte und mächtige Reiche wie China und Indien und das Osmanische Reich mit all ihren Reichtümern an Gewürzen, Diamanten und Luxusprodukten wie Porzellan und Seide. Amerika ist immer der wilde Kontinent voller Indianer, Menschenfresser und gefährlicher Tiere.
Dieser „natürliche Zustand“ spiegelt sich auch in der Darstellung des „Mohren“ wider.
Da fällt zunächst das breite, Zähne bleckende Lachen auf. In der Bildsprache des Barock steht es für den Zustand des Kontrollverlusts (Alkohol), des Geisteszustands (verrückt) oder des Alters (Kinder). Oder es zeigt sich auf den Gesichtern sozial niederer Menschen. Weder ein Bürger noch ein Fürst würde sich mit einem solchen Lachen porträtieren lassen. Wenn Dinglinger seinen Mohren so lachen lässt, dann nicht um einen bestimmten emotionalen Zustand darzustellen (warum sollte ihn denn auch das Tragen einer so schweren Last so sehr erfreuen), sondern – trotz seines Reichtums – um ihn als einfachen Menschen zu charakterisieren, jenseits von Bildung, Kultur und Sitte.
Dann ist da die Haltung des „Mohren“, breitbeinig wie ein Bauarbeiter und nicht wie eine kultivierte oder hochstehende Person.
Und schließlich: Was tut der Mohrenfürst genau? Steht er da und zeigt seinen Reichtum? Und warum sollte ein „Mohrenfürst“ überhaupt so etwas tun? Dieses Motiv klärt sich, wenn man weiß, dass es sich bei der Smaragdstufe um ein Geschenk von Rudolf II. handelt. Der Mohr präsentiert also nicht einfach seinen Reichtum, er überreicht ihn dem europäischen Fürsten.
Woher stammen diese Smaragde? Mitte des 16. Jahrhunderts erobern Spanier Kolumbien und Mittelamerika und gründeten Stadt Muzo, die zunächst "Villa de la Santísima Trinidad de los Muzos" hieß. Die unterworfenen Indianer mussten in Sklavenarbeit die Smaragde schürfen, bis bereits 1640 die Minen erschöpft waren. Die Smaragde, die der Mohr überreicht, wurden also nicht in einem fairen Handel erworben, sondern sind Produkte kolonialer Unterdrückung indigener Völker, an der die Habsburger maßgeblich beteiligt waren.
In der überwältigenden Inszenierung des Juwelenzimmers repräsentiert der Mohr den Zustand der Natur. Er wie seine Smaragde sind ungeschliffen, im ursprünglichen Zustand. Es ist der Wille und die Macht Augusts, aus diesen Dingen ein Werk der höchsten Kultur zu schaffen. Ähnlich wie August in seinen Porträts und Standbildern über den Mohren triumphiert, dient der Mohr hier auch zur Betonung der Überlegenheit des europäischen Fürsten und seines internationalen Machtanspruchs.
Dieser Gegensatz von Kultur- und Naturzustand dient auch als Rechtfertigung für die Aneignung der Bodenschätze Amerikas, die durch die Ureinwohner selbst legitimiert wird, die sie den Europäern lächelnd wie Kinder, d. h. unwissend und unzivilisiert, (in diesem Fall wörtlich) übertragen. Es dauerte nicht mehr lange, bis diese Argumentation, stimuliert durch die Aufklärung an Bedeutung zunehmen und als Rechtfertigung von europäischer Überlegenheit und Ausbeutung dienen wird.
Innerhalb des Historischen Grünen Gewölbes erinnert der Mohr also auch daran, dass der Glanz Augusts teuer erkauft wurde. Zwischen Mohr und August besteht ein Verhältnis von Macht und Ohnmacht, von Reichtum und Ausbeutung. Und so verweist der Mohr heute nur auf die großartige künstlerische Leistung Dinglingers, sondern auch auf die Schattenseiten fürstlicher Machtpolitik und die Folgen ihrer internationalen Vernetzung, die auch ein Land wie Sachsen, wenn auch ohne Häfen und Kolonien, einbezieht.