Die unsichtbare Geschichte
Ende September wurden zwei Räume, die an die Paraderäume des Residenzschlosses anschließen, neu gestaltet und der Öffentlichkeit präsentiert. Bis 2024 enthielten sie die Krönungsinsignien Augusts des Starken und weitere Insignien seiner Macht.
Es sind diese beiden Räume, die mich irritieren und zu einem kritischen Rückblick auf die Konzeption des Schlosses als “Monument der sächsischen Geschichte” veranlassen. Warum? Weil hier besonders deutlich wird, dass das Museum ein sehr einseitiges Geschichtsbild vermittelt.
Ein Raum widmet sich der Regentschaft des Kurfürsten Friedrich Augusts III., den ein sehr komplexes Verhältnis mit Napoleon verband, der ihn 1806 zum ersten König Sachsens machte. Friedrich Augusts Regentschaft umfasste einen der wichtigsten Abschnitte der jüngeren europäischen Geschichte, vom Ancien Régime, über die Französische Revolution, das Ende des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, bis zum Aufstieg und Fall Napoleons. Sachsen war in besonderer Weise mit dieser Geschichte verbunden. Da Friedrich August Napoleon treu blieb, war Sachsen 1813 Aufmarschgebiet für hunterttausende Soldaten, es folgte Schlacht auf Schlacht. Die Völkerschlacht in Leipzig ist in die Geschichtsbücher als Meilenstein europäischer Geschichte eingegangen, während die Dresdner Schlacht mit ca. 25000 getöteten Soldaten fast vergessen wurde. Ein Drittel der Dresdner Bevölkerung lebte an oder unter der Armutsgrenze, das Leid der einfachen Menschen war enorm und die Existenz des Landes stand nach der preußischen Besatzung auf dem Spiel.
Was sehen wir in dem Raum, der sich dieser Epoche widmet? Einen Teppich, den Napoleon Friedrich August geschenkt hat, ein goldenes Porzellanservice, das Friedrich August in Sèvre gekauft hat, und ein paar Medaillen und Münzen mit Herrscherporträts. Daneben Porträts der beiden wichtigsten Protagonisten, natürlich Napoleon und Friedrich August, und als Höhepunkt Napoleons Reitstiefel, die er bei der Völkerschlacht getragen haben soll. Kurzum: Fürstengeschenke, wertvollen Nippes und Kuriosa. Das Elend, das die Entscheidung der beiden Fürsten für Deutsche und Sachsen zur Folge hatte: ausgeblendet. Gab es keinen Platz, um Objekte auszustellen, die auch die dunkle Seite bzw. die Sichtweise der Bürger thematisiert? Wohl kaum. Denn der folgende, größere Raum widmet sich ausführlich den Hunden am Hof, zeigt in einer riesigen Vitrine ca. 100 kostbare Hundehalsbänder, daneben lebensgroße Hundeporträts und - als Eyecatcher – eine lebensgroße geschnitzte Figur von “Sultan”, einem der Leibhunde von Kurfürst Johann Georg I. Nach den enormen Lücken des ersten Raums mutet die großzügige Präsentation von Nebensächlichem im folgenden Raum unangenehm, wenn nicht gar unangemessen an.
Meine Kritik: Das Schloss sollte als "Monument der sächsischen Geschichte" wieder aufgebaut werden. Tatsächlich wird hier aber nicht sächsische Geschichte vermittelt, sondern nur Herrschergeschichte und diese ausschließlich aus deren eigener Perspektive. Als ob das Schloss so von den Wettinern übernommen und nicht in einem demokratischen Staat aufwändig rekonstruiert und neu konzipiert worden wäre. Nirgendwo im Schloss werden die Kriege Augusts II. und Augusts III. thematisiert, den zerstörerischen Siebenjährigen Krieg, die Umwälzungen der Reformation oder gar die Auswirkungen der Fürstenpolitik auf Land und Leute. Das hier vermittelte Geschichtsbild zeigt eine kritiklose Lobhudelei auf die kunstliebenden Herrscher Sachsens. Ich glaube, knapp 110 Jahre nach dem Ende der Monarchie, 80 Jahre nach dem Ende der Nazizeit und 30 Jahre nach dem Ende der DDR wäre ein kritischeres, demokratischeres und moderneres Geschichtsbild möglich und sinnvoll gewesen.